Donnerstag, 8. Januar 2004
Einer der von mir...
coma0815, 08:22h
...am liebsten gelesenen und am meisten bewundertsten Autoren ist Botho Strauß. Hier ein Auszug aus Rumor:
"Gehen wir also die Stadt hinunter. Sehen wir uns um. Hier ist es, Tartarien. Mehr kommt nicht. Von himmelweit unter der Erde, wo sie die Alten dachten, ist unsere Unterwelt emporgetaucht bis ans Tageslicht, für jedermann begehrbare Hölle...Bleib bei mir. Rede mit mir. Den Betrunkenen tragen die Strahlen heim frühmorgens...Nein, dies ist kein Wegweiser. Mehr kommt nicht. Wir sind angekommen. Sehen wir uns um. Warten wir nicht länger. Sehen wir uns um in dieser dreckigen kleinen, biestigen, engen, zerzausten Verdammnis...Hier, in diesem zugepflockten Haus findest du ein ganz gewöhnliches KZ, eines unter Millionen. Ein Mann mißhandelt seine Frau. Du hörst, die nackten Glieder mit ihren Mulden klatschen gegen eine Wand von Kacheln im Baderaum. Er schüttelt sie an beiden Schultern, so wie man aus einem uralten Kofferradio noch Töne herauszuwackeln sucht. Er wirft sie im Zimmer umher, die Knochen, von Haut und Fleisch gedämpft, poltern gegen die Kacheln. Siehst du: er schlägt sie, doch sie fällt nicht um. Sie fällt nicht und schweigt. Sie hält sich aufrecht an der Wand, den Rücken ihm zugekehrt. Langsam zieht sie, an den Kacheln entlang, von ihm weg, um ans Waschbecken zu kommen. Er reißt sie an der Schulter herum und stößt ihr die Faust ins Gesicht. Sie schwankt, aber sie fällt nicht. Sie sieht ihn an und steht, ihm zugewandt, wieder gerade. Ein brauner Prellfleck geht auf, verdunkelt das Auge wie die Sepiawolke den bedrohten Kraken. Wäßriger Rotz läuft aus beiden Nasenlöchern. Nun dreht sie sich wieder um, sie will ja zum Waschbecken. Ihren nackten Rücken vor sich, holt er mit beiden gefalteten Händen weit über den Kopf aus, als hielte er eine Axt, und schleudert die Hände abwärts, so daß sie gerade die zarten Buckel ihres Nackenwirbels treffen. Die Frau streckt, im Reflex, die Arme halbhoch ab, ähnlich wie einst der bleierne Tischfußballkicker, den man auf den Kopf tippte, das Bein vorstieß, und spreizte alle Finger so starr auseinander, daß ihr vom Ringfinger der Ring zu Boden springt. Dann fällt sie, schlägt mit Stirn und Unterarm am Wannenrand auf, bevor der magere Leib mit allen Ecken auf die Bodenkacheln prasselt. Im Sturz hat sie vom Wannenrand ein Stück Seife mitgerissen, es schliddert über die Steine. Die Frau, siehst du, richtet sich gleich wieder auf, läßt sich nicht gehen, und greift nach der Seife und legt sie benommen an Ort und Stelle zurück. Sie versucht aufzustehen, kippt jedoch wieder zu Boden. Da fällt auf einmal schnell eine kleine Menge heller, fast weißer Harn aus ihr heraus. Sie sieht sich das an und sieht, in ihrem eigentlichen Schicksal unerbrochen, trostlos verwundert zu ihrem Mann in die Höhe und in ihren Augen sammeln sich Tränen. Der Mann greift ihren Kopf und drückt ihn hinunter. Er wischt die Pfütze mit ihren Haaren vom Kachelboden auf. So geht es weiter, wird niemals enden, der halbbekleidete Mann, die nackte Frau. Sich töten? Sich sprechen? Nicht nötig. Schon wenig später, schon bei der ersten leisen Berührung ihrer Stirn, allein durch sein Handauflegen beginnt diese Frau, aus den Krümmungen der Folter heraus, mit der gleichmäßigen Wurmbewegung der Hingabe. Sie schlägt ihr Becken auf und nieder, röchelt, bäumt sich unter Handauflegen, ihre Augen gehen weit auf und ein Äderchen platzt, blutig wird der weiße Augapfel und sie reißt sich selbst an den Haaren, sabbelt aus dem Mund. Jetzt ist sie auf eine Höhe ihrer selbst gelangt, da sie alles fräße, was man ihr in den Mund stecke, da sie alles ein und zugleich verschlingen will, was das Menschenleben auf ein Mal hergibt: Mann und Frau, Kind und Greis, Macht und Strafe, Scheiße und Atem, erhöht und erniedrigt, gläubig und blasphemisch, Mörder und Opfer - alles gepaart, alles auf einmal, in einem einzigen, augenblicklichen, blutigen Reigen...
Es ist im übrigen dieselbe Frau die am Morgen im Büro laut gelacht hat, als der Chef ihren Mann vor ihren Augen rüffelte, fertigmachte, ihn der Lächerlichkeit preisgab. Da lachte sie auf Seiten des Chefs, der ihren Mann fortwährend mit Sportsfreund anredete und auch in ihren, dem Chef gehörenden Augen stand ihr Beherrscher plötzlich als der Dumme da. Sie lachte und lächelte noch, als der Chef längst nicht mehr ulkte, sondern mit Blicken tötete.
Aber auch jener Tag wird kommen, da sie alleine darniederhockt, alleingeblieben an diesem Totenort, in dieser Kachelwüste, und dann sehen wir sie wildgeworden mit den Fingernägeln an der verschlossenen Erde kratzen. Aber hier ist Tartarien. Hier kann man weder Grab noch Nahrung ausbuddeln. Tiefer geht es nicht runter als die zugekachelte Erde ist."
"Gehen wir also die Stadt hinunter. Sehen wir uns um. Hier ist es, Tartarien. Mehr kommt nicht. Von himmelweit unter der Erde, wo sie die Alten dachten, ist unsere Unterwelt emporgetaucht bis ans Tageslicht, für jedermann begehrbare Hölle...Bleib bei mir. Rede mit mir. Den Betrunkenen tragen die Strahlen heim frühmorgens...Nein, dies ist kein Wegweiser. Mehr kommt nicht. Wir sind angekommen. Sehen wir uns um. Warten wir nicht länger. Sehen wir uns um in dieser dreckigen kleinen, biestigen, engen, zerzausten Verdammnis...Hier, in diesem zugepflockten Haus findest du ein ganz gewöhnliches KZ, eines unter Millionen. Ein Mann mißhandelt seine Frau. Du hörst, die nackten Glieder mit ihren Mulden klatschen gegen eine Wand von Kacheln im Baderaum. Er schüttelt sie an beiden Schultern, so wie man aus einem uralten Kofferradio noch Töne herauszuwackeln sucht. Er wirft sie im Zimmer umher, die Knochen, von Haut und Fleisch gedämpft, poltern gegen die Kacheln. Siehst du: er schlägt sie, doch sie fällt nicht um. Sie fällt nicht und schweigt. Sie hält sich aufrecht an der Wand, den Rücken ihm zugekehrt. Langsam zieht sie, an den Kacheln entlang, von ihm weg, um ans Waschbecken zu kommen. Er reißt sie an der Schulter herum und stößt ihr die Faust ins Gesicht. Sie schwankt, aber sie fällt nicht. Sie sieht ihn an und steht, ihm zugewandt, wieder gerade. Ein brauner Prellfleck geht auf, verdunkelt das Auge wie die Sepiawolke den bedrohten Kraken. Wäßriger Rotz läuft aus beiden Nasenlöchern. Nun dreht sie sich wieder um, sie will ja zum Waschbecken. Ihren nackten Rücken vor sich, holt er mit beiden gefalteten Händen weit über den Kopf aus, als hielte er eine Axt, und schleudert die Hände abwärts, so daß sie gerade die zarten Buckel ihres Nackenwirbels treffen. Die Frau streckt, im Reflex, die Arme halbhoch ab, ähnlich wie einst der bleierne Tischfußballkicker, den man auf den Kopf tippte, das Bein vorstieß, und spreizte alle Finger so starr auseinander, daß ihr vom Ringfinger der Ring zu Boden springt. Dann fällt sie, schlägt mit Stirn und Unterarm am Wannenrand auf, bevor der magere Leib mit allen Ecken auf die Bodenkacheln prasselt. Im Sturz hat sie vom Wannenrand ein Stück Seife mitgerissen, es schliddert über die Steine. Die Frau, siehst du, richtet sich gleich wieder auf, läßt sich nicht gehen, und greift nach der Seife und legt sie benommen an Ort und Stelle zurück. Sie versucht aufzustehen, kippt jedoch wieder zu Boden. Da fällt auf einmal schnell eine kleine Menge heller, fast weißer Harn aus ihr heraus. Sie sieht sich das an und sieht, in ihrem eigentlichen Schicksal unerbrochen, trostlos verwundert zu ihrem Mann in die Höhe und in ihren Augen sammeln sich Tränen. Der Mann greift ihren Kopf und drückt ihn hinunter. Er wischt die Pfütze mit ihren Haaren vom Kachelboden auf. So geht es weiter, wird niemals enden, der halbbekleidete Mann, die nackte Frau. Sich töten? Sich sprechen? Nicht nötig. Schon wenig später, schon bei der ersten leisen Berührung ihrer Stirn, allein durch sein Handauflegen beginnt diese Frau, aus den Krümmungen der Folter heraus, mit der gleichmäßigen Wurmbewegung der Hingabe. Sie schlägt ihr Becken auf und nieder, röchelt, bäumt sich unter Handauflegen, ihre Augen gehen weit auf und ein Äderchen platzt, blutig wird der weiße Augapfel und sie reißt sich selbst an den Haaren, sabbelt aus dem Mund. Jetzt ist sie auf eine Höhe ihrer selbst gelangt, da sie alles fräße, was man ihr in den Mund stecke, da sie alles ein und zugleich verschlingen will, was das Menschenleben auf ein Mal hergibt: Mann und Frau, Kind und Greis, Macht und Strafe, Scheiße und Atem, erhöht und erniedrigt, gläubig und blasphemisch, Mörder und Opfer - alles gepaart, alles auf einmal, in einem einzigen, augenblicklichen, blutigen Reigen...
Es ist im übrigen dieselbe Frau die am Morgen im Büro laut gelacht hat, als der Chef ihren Mann vor ihren Augen rüffelte, fertigmachte, ihn der Lächerlichkeit preisgab. Da lachte sie auf Seiten des Chefs, der ihren Mann fortwährend mit Sportsfreund anredete und auch in ihren, dem Chef gehörenden Augen stand ihr Beherrscher plötzlich als der Dumme da. Sie lachte und lächelte noch, als der Chef längst nicht mehr ulkte, sondern mit Blicken tötete.
Aber auch jener Tag wird kommen, da sie alleine darniederhockt, alleingeblieben an diesem Totenort, in dieser Kachelwüste, und dann sehen wir sie wildgeworden mit den Fingernägeln an der verschlossenen Erde kratzen. Aber hier ist Tartarien. Hier kann man weder Grab noch Nahrung ausbuddeln. Tiefer geht es nicht runter als die zugekachelte Erde ist."
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